MARKTWIRTSCHAFT : „UNTERNEHMER SIND TREIBER DES WIRTSCHAFTLICHEN FORTSCHRITTS“

Die Kritik am Gewinnstreben von Unternehmen und an der Marktmacht der Tech-Unternehmen ist unbegründet. Wir sollten beides feiern, sagt der Wirtschaftsphilosoph Martin Rhonheimer.

WirtschaftsWoche: Professor Rhonheimer, Unternehmer werden häufig als gewinnsüchtige Zeitgenossen angefeindet, die ihren Reichtum der Ausbeutung der Arbeitnehmer und der Umwelt zu verdanken haben. Woher rührt diese feindselige Haltung? 

Martin Rhonheimer: Viele Menschen blicken aus der Perspektive des Arbeitnehmers auf Unternehmer. Dann sehen sie die Gewinne und denken sich, mit dem Geld könnte der Unternehmer höhere Löhne zahlen und die Arbeitsbedingungen verbessern. Diese eindimensionale Sicht auf den Unternehmer wird dessen komplexer Rolle für die Wirtschaft jedoch nicht gerecht. 

Warum nicht? 

Aus meiner Sicht sind Unternehmer nicht primär dazu da, Arbeitsplätze zu schaffen und Löhne zu zahlen. Das machen sie zwar auch, es ist das Ergebnis erfolgreichen unternehmerischen Handelns, aber die Arbeitgeberfunktion ist nicht ihre zentrale Funktion im Wirtschaftsgeschehen. 

Sondern? 

Aufgabe und Ziel der Wirtschaft generell ist nicht, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern die Gesellschaft mit Konsumgütern zu versorgen. Die Rolle des Unternehmers – und das gilt für Unternehmen, Firmen, Betriebe generell – besteht darin, mit knappen Ressourcen Güter und Dienstleistungen herzustellen, die die Bedürfnisse der Menschen befriedigen. Ein Unternehmer muss diese Bedürfnisse aufspüren, muss Ideen haben und muss ins Risiko gehen. Unternehmer entdecken Ineffizienzen und Ungleichgewichte, brachliegende Chancen und mögliche Wohlstandsverbesserungen. Sie haben Visionen und sind die eigentlichen Treiber des wirtschaftlichen Fortschritts. Mit eigenem oder geliehenem Geld investiert der Unternehmer in Maschinen und Anlagen, die es ihm ermöglichen, die seiner Voraussicht nach von seinen Kunden gewünschten Güter möglichst effizient herzustellen und schafft damit oft ganz neue Märkte und in der Konsequenz dann auch neue Arbeitsmöglichkeiten. Der Unternehmer ist ein Wertschöpfer. An den Früchten dieser Wertschöpfung nehmen die Arbeitnehmer durch ihren Lohn teil, allerdings ohne das Risiko des Kapitaleigners tragen zu müssen.

Und der Unternehmer streicht den Gewinn ein. 

Der Gewinn signalisiert dem Unternehmer, dass er auf der richtigen Spur ist, die Bedürfnisse der Menschen mit seinen Produkten zu befriedigen. Ist das nicht der Fall, macht er Verluste und scheidet im Extremfall aus dem Markt aus. Gewinne sind Wegweiser und Belohnung zugleich für die Produktion von Gütern, die den Menschen Nutzen stiften. Sie sind nicht unmittelbarer Sinn und Zweck des unternehmerischen Handelns. Gier war jedenfalls noch nie ein unternehmerisches Erfolgsrezept, auch wenn im Gefolge der Politik des billigen Geldes der letzten Jahrzehnte die Finanzwirtschaft immer mehr anwuchs und heute dort die größten Gewinne gemacht werden können. Das kann zur Gier führen, hat dann aber eher wenig mit Unternehmertum als Rückgrat einer wohlstandsfördernden Wirtschaft zu tun.

Der Unternehmer kann seinen Gewinn auch maximieren, indem er die Löhne drückt und wenig in den Umweltschutz investiert. 

Es mag Unternehmer geben, die ihre Macht auf dem Arbeitsmarkt ausnutzen, etwa wenn sie der einzige Arbeitgeber an einem Ort sind. Doch das sind Ausnahmen und selbst dann könnte man argumentieren, dass doch gerade die Präsenz eines solchen Arbeitgebermonopols – etwa an einem wirtschaftlich wenig entwickelten Ort mit schlechten Standortbedingungen – für die dort lebenden Menschen ein deutlicher Wohlstandsgewinn ist. Generell gilt aber doch: Unternehmer, die ihre Angestellten schlecht behandeln, haben bald keine mehr. Hohe Gewinne können die Unternehmer nur erzielen, wenn sie die Menschen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen. Sie müssen die Wünsche ihrer Kunden erfüllen, ihre Beschäftigten ordentlich behandeln und ihre Lieferanten pünktlich bezahlen. Sonst kündigen diese die Geschäftsbeziehungen auf. Stellt der Unternehmer die Menschen nicht in den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns, scheitert er.

Erzählen Sie das mal den Gewerkschaften. Dort hegt man ein weniger idealistisches Bild von Unternehmern.

Gewerkschaften bündeln die Verhandlungsmacht auf der Arbeitnehmerseite und legen gemeinsam mit den Unternehmern die Löhne in den tarifgebundenen Bereichen der Wirtschaft fest. Im Grunde genommen sind sie ein Störfaktor auf dem Arbeitsmarkt. Sie wirken wie ein gesetzlich geschütztes Angebotskartell. Mit ihrer monopolistischen Verhandlungsmacht können sie Lohnuntergrenzen durchsetzen, die durch die Produktivität der Beschäftigten nicht gedeckt sind. Das hat negative Folgen für die Preise und die Beschäftigung. Es nützt den gewerkschaftlich hochorganisierten Industriezweigen, schadet aber jenen, die weniger organisiert sind und entsprechend tiefere Löhne und zudem keine Lobby haben. Zu jenen, die keine Lobby haben, gehören auch die Konsumenten, und das sind wir alle. Kurz: Gewerkschaften handeln jeweils im Interesse einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe und schaden deshalb oft dem Gemeinwohl.

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Die Gewerkschaften mögen mächtig sein, doch die Unternehmer sind mächtiger. Tech-Unternehmen wie Google und Facebook erzielen hohe Gewinne, weil es kaum Wettbewerber gibt.

Vorsicht, die meisten Tech-Unternehmen stehen in vielfältiger Konkurrenz zueinander. Das hat der am „European University Institute“ in Florenz lehrende Wettbewerbsrechtler und Regulierungsspezialist Nicolas Petit in seinem Buch „Big Tech and the Digital Economy. The Moligopoly Scenario“ gezeigt. Nehmen Sie zum Beispiel Amazon. Das Unternehmen ist mehr als nur eine Verkaufsplattform. Amazon bietet Cloud-Dienste an und investiert sogar in die Raumfahrt. Dort steht es in intensiver Konkurrenz zu anderen Unternehmen, die ebenfalls in der Raumfahrt aktiv sind wie Space X von Elon Musk. Im Streamingbereich steht Amazon in Konkurrenz mit Netflix und Apple. Google konkurriert mit Tesla im Bereich autonomes Fahren und mit Amazon im Bereich Cloud-Dienste, das sind keine Monopole!

Aber in ihren Kerngeschäftsfeldern sind die Tech-Unternehmen faktisch Monopolisten, so wie Google mit seiner Suchmaschine.

Auf Monopole und marktbeherrschende Stellungen gibt es keine Ewigkeitsgarantie. Die meisten verschwinden nach einer gewissen Zeit wieder, entweder weil sie träge geworden und von Konkurrenten ausgehebelt werden oder weil der technologische Fortschritt sie erodiert hat. Denken Sie an IBM oder Kodak. So hat auch die Entwicklung des Mobilfunks das Fernsprechmonopol der Festnetzanbieter hinweggefegt. Was im Zeitalter von disruptiven neuen Technologien wie KI mit der Google Suchmaschine geschehen wird, steht in den Sternen geschrieben. Monopole werden erst zu einem Problem, wenn der Staat seine schützende Hand über sie hält und Konkurrenten den Zutritt zum Markt verwehrt, etwa durch Regulierungen, Zertifizierungen oder Schutzzölle. Wenn das nicht der Fall ist, müssen sich auch Monopole immer vor Konkurrenten fürchten und treiben gerade dadurch Innovationen an – oder sie verlieren ihre Marktmacht.

Die Tech-Unternehmen profitieren in ihren Kernmärkten von Netzwerkeffekten. Wie sollen Konkurrenten da Fuß fassen? 

Netzwerkeffekte erschweren Konkurrenten zwar den Marktzutritt. Aber die Kunden profitieren von ihnen. Der Konsumentennutzen ist das oberste Kriterium. Die Menschen tummeln sich auf Facebook, Instagram oder X, weil sie wissen, dass ihre Freunde und Bekannten dort ebenfalls sind. Solange die Kunden von der Marktmacht eines Unternehmens profitieren, kann diese nicht schlecht sein. Wie gesagt können aber auch disruptive neue Technologien solche Effekte durchbrechen. Der freie Markt funktioniert zwar oft suboptimal, aber er verbessert sich mit der Zeit selbst. Dies im Unterschied zum Staat, dem als zentraler Lenker das entscheidende, nämlich dezentrale „Wissen“ des Marktes fehlt und – schon aus Gründen der politischen Dynamik – seine Fehler in der Regel nicht oder zu spät korrigiert.

Dann liegen die Vertreter des Ordoliberalismus mit ihrem Ruf nach staatlicher Wettbewerbskontrolle also falsch?

Die Ordoliberalen gehen davon aus, dass der Idealzustand der Wirtschaft, dem man sich durch politische Maßnahmen möglichst annähern sollte, in der vollständigen Konkurrenz besteht. Doch vollständige Konkurrenz gibt es in der Realität nicht. Zudem ist sie kein Idealzustand, eine Annäherung an sie also gar nicht wünschenswert. Eine Welt der vollständigen Konkurrenz wäre eine Welt der Stagnation, in der es keine Innovationen gibt. Sobald ein Unternehmer eine Innovation erfolgreich am Markt platziert, wird er damit für gewisse Zeit zum Monopolisten. Das hat ja Schumpeter richtig gesehen. Und Innovationen stiften den Menschen Nutzen, sie schaffen volkswirtschaftlich und über längere Zeiträume hinweg betrachtet Wachstum und Wohlstand. Das blenden Ordoliberale aus, wenn sie sich von einer auch private Monopole bekämpfenden „Wettbewerbspolitik“ eine höhere Konsumentenrente erhoffen.

Was, wenn ein Monopolist seine Marktmacht missbraucht?

Gegen den Missbrauch von Macht hilft das Strafrecht. Die meisten Unternehmer, die dank ihrer Marktmacht hohe Gewinne einfahren, investieren diese wieder. Schauen Sie sich die großen Tech-Unternehmen an. Der Großteil ihrer Gewinne fließt in die Forschung und Entwicklung. Es sind gewaltige, durch Wertschöpfung erarbeitete Summen, die jene staatlicher, steuerfinanzierter Forschungsförderung oft weit übertreffen. Unternehmen investieren, wenn sie fürchten müssen, dass ihre Konkurrenten sonst an ihnen vorbeiziehen. Tech-Unternehmen mögen finanziell mächtig sein, doch der Wettbewerb um die Märkte der Zukunft hegt ihre Macht ein und macht sie auch vergänglich. 

Die Macht der Tech-Unternehmen beruht nicht nur auf Geld, sondern auch auf Daten über ihre Kunden.

Das ist in der Tat ein Problem, das man durch den Verbraucherschutz adressieren kann, ohne dass man dafür die Unternehmen in ihren Tätigkeiten einschränkt oder sie gar zerschlägt. Erhöhte Transparenzvorschriften und die Pflicht für die Tech-Unternehmen, die Zustimmung ihrer Kunden zur Weiterverarbeitung von Daten einzuholen, sollten hier die Mittel der Wahl sein. Das ist meiner Ansicht nach eine sehr effiziente Form der Regulierung, die sogar vermehrten Wettbewerb schaffen kann.

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