OSTWAHLEN: „IN DEUTSCHLAND GAB ES NOCH NIE EINE RICHTIGE WILLKOMMENSKULTUR“

Die AfD-Zuwächse fordern nicht nur Politik und Gesellschaft heraus – auch Unternehmer sorgen sich um ihre Zukunft. So wie Serdar Kaya, ein Kind türkischer Einwanderer und Geschäftsführer eines sächsischen Unternehmens.

Serdar Kaya ist Geschäftsführer von Spekon, der Sächsischen Spezialkonfektion GmbH mit Sitz im sächsischen Seifhennersdorf, fünf Autominuten entfernt von der tschechischen Grenze. Das Unternehmen wurde 1938 gegründet und gehört heute zu den weltweit führenden Herstellern für Fallschirme. Seit 1991 ist das Unternehmen privatisiert und arbeitet überwiegend in der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie – in der Hand einer türkischen Familie.

WirtschaftsWoche: Herr Kaya, sie haben türkischen Migrationshintergrund und sind Geschäftsführer eines sächsischen Unternehmens. Gibt es unter den 35 Mitarbeitenden auch andere, die einen Migrationshintergrund haben?

Serdar Kaya: Nicht wirklich, wir haben fünf tschechische Mitarbeiterinnen, aber das wars. Das liegt vor allem daran, dass wenige Menschen mit Migrationshintergrund nach Sachsen ziehen. Ich glaube nicht, dass das ein besonders attraktiver Standort für qualifizierte ausländische Fachkräfte ist. Ich selbst lebe auch in Berlin.

Letzten Sonntag holte die AfD knapp 30 Prozent in Sachsen, in Seifhennersdorf, dem Standort von Spekon, waren es sogar rund 40 Prozent. Wie verhält sich die Stimmung in Ihrem Unternehmen?

Ich bekomme natürlich nicht alle Gespräche mit. Grundsätzlich herrscht bei uns aber eine gute Stimmung. Das Geschäft läuft gut, wir sind finanziell gut aufgestellt und bis Ende 2026 voll mit Aufträgen. Damit will ich sagen: Es gibt keinen Grund für schlechte Stimmung. Aber ich kann mir vorstellen, dass der Anteil an Mitarbeitenden, die am letzten Sonntag die AfD gewählt haben, bei uns im Betrieb wohl so groß ist wie der Durchschnitt in Sachsen.

Wie ist das für Sie?

Ich sehe das weniger als Gefährdung für mich, sondern für die Demokratie, den Rechtsstaat und das ganze Land. In Deutschland gab es noch nie eine richtige Willkommenskultur. Der Unterschied ist, dass es jetzt andere Dimensionen hat, politisch formuliert wird und in die Strukturen eindringt.

Mussten Sie schon Anfeindungen erleben?

Ich kann keine Vorurteile bestätigen. Als Geschäftsführer genieße ich ein Ansehen, das vielen Menschen mit Migrationshintergrund verwehrt bleibt. Dadurch, dass ich mit meinen Mitarbeitern Deutsch sprechen kann und in einer Führungsrolle bin, ist die Akzeptanz groß.

Was bedeuten die Wahlergebnisse für Ihr Unternehmen?

Landespolitische Entscheidungen sind für uns nicht direkt ausschlaggebend. Als globales Unternehmen sind wir aber auf den guten Ruf Deutschlands als Handelspartner angewiesen. Ich fürchte, dass die Wahlen das Ansehen der Bundesrepublik als sicheren Standort mittelfristig gefährden können, vor allem durch das Völkische und Abgrenzende von Europa und den USA. Das könnte langfristig zum Problem für unseren Standort werden. Auch wenn es um das Thema Fachkräfte geht: Schon vor den Wahlen hatten wir Schwierigkeiten, qualifizierte Beschäftigte zu finden. Vor allem jüngere Menschen ziehen aus der Region weg – und Fachkräfte aus dem Ausland wollen erst gar nicht hier her.

Bereitet Ihnen das Sorgen?

Ja, durchaus. Wir können uns das als drittgrößter Weltwirtschaftsmarkt nicht erlauben. Wir haben uns diese Stellung auf dem Weltmarkt im Laufe der letzten Jahrzehnte mühsam erkämpft. Zum Glück kann man bisher nicht davon ausgehen, dass die AfD jemals in eine Bundesregierung kommen wird. Wobei das Problem nicht unbedingt bei der AfD liegt.

Wo liegt das Problem denn noch?

Gefährlich sind auch die Brücken, die andere Parteien wie die CDU in Richtung AfD bauen. Die befinden sich wie in einer Schockstarre, wie ein Kaninchen an der Wand, und übernehmen das Gedankengut. Aus Angst, noch mehr Wählerinnen und Wähler zu verlieren, stellen sie sich nicht der Realpolitik. Nicht umsonst hat Tino Chrupalla gesagt, die CDU sei eine Raubkopie der AfD. Das ist die Richtung, vor der wir uns fürchten müssen.

Haben Sie schon mal überlegt, den Standort von Spekon zu verlagern?

Wir sind ein kleines, global agierendes Unternehmen. Wir haben eine feste Struktur. Unsere Mitarbeitenden sind teilweise seit Jahrzehnten bei uns, die beherrschen ihr Handwerk. Ich kann mit der Firma also nicht einfach in eine andere deutsche Stadt ziehen. Außerdem gibt es auch Standortvorteile: Die Löhne sind im Vergleich zum Rest von Deutschland niedriger, die Subventionsrate in Sachsen ist sehr hoch, die liegt bei bis zu 35 Prozent. Bisher konnten wir uns auch auf die Unterstützungen durch das Wirtschaftsministerium verlassen.

Wie könnte der Osten politisch gerettet werden?

Den Osten retten könnte eine gemeinsame deutsche Identitätsbildung. Ich habe ein gewisses Verständnis für die Menschen hier, denn auch ich bin in Deutschland als Teil einer Minderheit aufgewachsen – man gehörte immer zu den anderen. Versäumt wurde die gemeinsame deutsche Identität nicht nur bei den Migrantinnen und Migranten, sondern auch bei den Ostdeutschen.

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